Algorithmische Kunst & Digitale Medien (Leuphana)
Zur Geschichte, Ästhetik & Algorithmik digitaler Bilder
Frieder Nake
Winter 19/20, Leuphana Universität Lüneburg
7/8/9 Nov – 22/23 Nov – 6/7 Dez – 17/18 Jan, jeweils 10-17Uhr, C 5.326
Praxisorientierter Workshop an vier ganztägigen Block-TerminenZur Veranstaltung
Ausgangspunkt für den Workshop ist die Behauptung, dass alle Dinge und Prozesse, die dem Computer verfallen, eine verdoppelte Existenz aufweisen. Was soll das heißen? Dinge und Prozesse, wenn sie algorithmisch behandelt werden sollen, werden in ihrer gewöhnlichen, stofflichen, uns vertrauten, jedenfalls prinzipiell sinnlich vielfältig wahrnehmbaren Form begleitet von einer zweiten Form. In dieser zweiten Form erscheinen Dinge und Prozesse als berechenbare Zeichen. So sind sie "algorithmische Zeichen", die – wie ich gern sage – eine Oberfläche und eine Unterfläche aufweisen. Die Oberfläche ist für den Menschen sichtbar (oder, allgemeiner: sinnlich wahrnehmbar); der Mensch interpretiert sie. Die Unterfläche ist für den Computer berechenbar; er determiniert ihre Bedeutung im Kontext der Berechenbarkeit. (Über einen solchen Absatz werden wir uns wohl gelegentlich, oder auch gleich, unterhalten müssen.)
Sechsmal schon hatte ich das Vergnügen in den letzten Wintersemestern, ein solches Angebot an der Leuphana machen zu dürfen. Wir wollen es jetzt also zum siebten Male versuchen, falls Ihr mitmacht. Das generelle Format hat sich einigermaßen bewährt. Ich möchte es jedoch ein wenig zuspitzen. Drei Themen werden anklingen und unsere Bemühungen kennzeichnen: die algorithmische Kunst / das algorithmische Denken / die digitalen Medien.
Die beiden äußeren Themen klammern das mittlere ein und setzen ihm einen Kontext. Der umfassende Kontext ist die seit den 1960er Jahren in Wellen spürbare Algorithmische Revolution. Sie wälzt in wachsender Geschwindigkeit sämtliche technischen Grundlagen der Gesellschaft in einer nie dagewesenen globalen Kulturrevolution um und um. Marx und Engels hatten schon 1848 im Kommunistischen Manifest geschrieben (hier in schöner englischer Übersetzung wiedergegeben): "All that is solid melts into air." Diese Ahnung über den gnadenlos alles freisetzenden Gang des Kapitalismus erweist sich heute als vor unseren Augen und mit unserer Mithilfe stattfindende Wirklichkeit.
Wir erlauben uns einen Blick aus harmlos erscheinender Distanz, indem wir ein wenig die Geschichte der in den 1960er Jahren aufkommenden Algorithmischen Kunst befragen (damals "Computerkunst" genannt) und Erscheinungen jetziger medialer Transformationen betrachten. Beide sind, wie alle derzeitigen gesellschaftlichen Prozesse, vor allem durch das algorithmische Prinzip gekennzeichnet, das ihnen unterliegt. Und das heißt: durch die Berechenbarkeit aller Prozesse. Zugegeben, das verlangt auch nach der Digitalität. Doch die digitale Form der Dinge ist nur notwendige Begleitung ihrer Algorithmisierung, ihrer Reduktion also auf Berechenbares; sie ist nicht deren Kern.
Wenn wir das in Ansätzen verstehen wollen, wenn wir der Umwälzung der Welt begegnen und von ihr nicht nur mitgerissen werden wollen, dann ist es notwendig, dass wir Grundkenntnisse dessen erlangen, was beim Programmieren geschieht. Deswegen ist der Kern des Workshop dem algorithmischen Denken gewidmet. Ihm werden derzeit in vielen Ländern, auch der BRD, große Anstrengungen hin auf die Schulen gewidmet, und allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch. In den USA wird meist von computational thinking gesprochen. Das wird uns zu eng erscheinen. Wir nehmen die Mathematik zum Ausgangspunkt, nicht den Computer.
In der oben angesprochenen Verdoppelung liegt die Besonderheit aller Computerdinge, nahezu aller Dinge also, die als Dinge heute relevant sind. In der Verdoppelung liegt das, worüber wir als digitale Kultur, als digitale Gesellschaft, in den Digital Humanities etc. lesen. Diese Verdoppelung steht auch hinter dem, was Big Data genannt wird und allerlei mystische Nebelschwaden erzeugt. Die Verdoppelung ist einfach zu begreifen und doch von viel Spekulation umwabert. Sie ist wesentliches Ergebnis der algorithmischen Revolution.
Zumuten werde ich Euch, dass Ihr Euch auf die Ebene dessen aufschwingt, was heute Kultur ausmacht, oder, sagen wir es etwas bescheidener: was heute in kulturellen Prozessen wichtig ist.
Wir werden praktisch werden und programmieren, denn aus der Praxis lernen wir. Dazu werden wir uns konkret mit der Programmiersprache Processing befassen und erleben, dass Programmieren anstrengt, aber letztlich, nach einem Anlauf über Hürden, kinderleicht wird. In praktischer Auseinandersetzung mit dem "digitalen" Bild werdet Ihr (so hoffe ich jedenfalls) einerseits spüren, wie begeisternd eigenes Schaffen sein kann. Andererseits werdet Ihr eine Grundlage für die Beurteilung digitaler Bilder in ihren Besonderheiten erwerben. Ihr gewinnt Instrumente und Denkweisen für einen Umgang mit der Welt des Digitalen, der auf der Höhe der Zeit ist und der sich nicht von vornherein in Spekulation flüchten muss.
Ihr als Teilnehmende sollt, wenn Ihr hier Leistungspunkte aufsammeln wollt, als eigene Leistung ein Gestaltungs-Projekt mit Processing bearbeiten, dessen Einzelheiten wir noch besprechen werden. Den Rahmen dafür gebe ich vor. – Sehr zu wünschen ist es, wenn Ihr an "unseren" Wochenenden keine anderen Block-Kurse belegt. Wer hier mitmachen möchte, muss erste Priorität auf das setzen, was wir tun.
Zum Leistungsnachweis (Prüfungsleistung)
Um die fünf Leistungspunkte zu erwerben, ist Folgendes zu tun:
• [generell] Ihr sollt immer aktiv dabei sein und mitmachen, also Bemerkungen und Fragen zum Diskurs beisteuern, für begriffliches Arbeiten den Laptop zuklappen, gelegentlich eine Übungsaufgabe bearbeiten (mobile Telefone selbstverständlich ausschalten).
• [gestaltend] Als algorithmisch-praktischen Teil sollt Ihr eine begrenzte Anwendung mit ästheti-schem Charakter entwickeln (in der Programmierumgebung Processing) und zur gegebenen Zeit den Zwischenstand präsentieren; dazu werde ich den Rahmen vorgeben.
• [schreibend] Abschließend sollt Ihr über das individuelle Gestaltungsprojekt einen kritisch reflektierenden Bericht mit Einbettung in den breiteren Kontext abfassen. Abgabetermin dafür: bis 15.3.2020.
Die Note für Eure Leistung setzt sich aus zwei Teilen zusammen:
• kurze mündliche Präsentation des Zwischenstandes: am 18. Januar 2020 (20%)
• schriftliche Ausarbeitung über die Gestaltungsaufgabe (mit Programm), bis 15. März 2020 (80%).
Über Einzelheiten dieser Aufgaben unterhalten wir uns zu Beginn und zwischendurch. Die generelle Orientierung für die verlangten Leistungen lautet: »Macht das, was Ihr macht, gut und auch pünktlich!«