AlgorithmischeKunst_Leuphana

Geschichte Ästhetik Algorithmik


Frieder Nake

Winter 2020/21, Leuphana Universität Lüneburg

6/7 Nov, 13/14 Nov, 4/5 Dez, 18/19 Dez 2020 jeweils FR 14-17 & SA 10-12 & 14-16, online über Zoom

Zur Veranstaltung (Fassung 4.11.2020)

Ausgangspunkt für diesen Workshop ist die Behauptung, dass alle Dinge und Prozesse, die dem Computer verfallen, eine verdoppelte Existenz aufweisen. Was soll das heißen?

Dinge und Prozesse, wenn sie algorithmisch behandelt werden sollen, existieren zunächst in ihrer gewöhnlichen stofflichen, uns vertrauten, und jedenfalls in der einen oder anderen Art sinnlich wahrnehmbaren Form, sind dann aber zusätzlich noch von einer zweiten Form begleitet. In dieser zwei¬ten Form erscheinen Dinge und Prozesse als berechenbare Zeichen. Sie weisen, so will ich sagen, eine doppelte Daseinsweise auf, sind doppel-on-tologisch. In dieser Weise werden sie zu algorithmischen Zeichen, die – wie ich gern sage – eine Oberfläche und eine Unterfläche aufweisen. Die Oberfläche ist für den Menschen sichtbar (oder, allgemeiner: sinnlich wahrnehmbar); der Mensch interpretiert sie. Die Unterfläche ist für den Computer berechenbar; er determiniert ihre Bedeutung im Kontext der Berechenbarkeit. Und das ist auch schon alles, was dem Computer möglich ist und zusteht.

Sechsmal schon hatte ich das Vergnügen in den letzten Wintersemestern, ein solches Angebot an der Leuphana machen zu dürfen. Wir wollen es jetzt also zum siebten Male versuchen, falls Ihr mitmacht. Das generelle Format von vier Wochenenden hat sich einigermaßen bewährt. Ich möchte es jedoch ein wenig zuspitzen. Drei Themen werden anklingen und unsere Bemühungen kennzeichnen: die algorithmische Kunst / das algorithmische Denken / die digitalen Medien.
Die beiden äußeren Themen setzen dem mittleren – dem algorithmischen Denken – einen Kontext. Unser allgemein umfassender Kontext ist die seit den 1960er Jahren in Wellen spürbare Algorithmische Revolution. Sie wälzt sämtliche technischen Grundlagen der Gesellschaft in einer nie dagewesenen globalen Kulturrevolution um und um. Marx und Engels hatten schon 1848 im Kommunistischen Manifest geschrieben (hier in schöner englischer Übersetzung wiedergegeben): "All that is solid melts into air." Diese Ahnung über den gnadenlos alles freisetzenden Gang des Kapitalismus erweist sich heute als vor unseren Augen und mit unserer Mithilfe stattfindende Wirklichkeit.
Wir erlauben uns einen Blick aus harmlos erscheinender Distanz, indem wir ein wenig die Geschichte der in den 1960er Jahren aufkommenden Algorithmischen Kunst befragen (damals "Computerkunst" genannt) und Erscheinungen jetziger medialer Transformationen betrachten. Beide sind, wie alle derzeitigen gesellschaftlichen Prozesse, vor allem durch das algorithmische Prinzip gekennzeichnet, das ihnen unterliegt. Und das heißt: durch die Berechen¬barkeit aller Prozesse. Zugegeben, das verlangt auch nach der Digitalität. Doch die digitale Form der Dinge ist nur notwendige Begleitung ihrer Algorithmisierung, ihrer Reduktion also auf Berechenbares; diese Algorithmisierung ist der Kern des Ganzen.
Wenn wir das in Ansätzen verstehen wollen, wenn wir der Umwälzung aller Verhältnisse begegnen und von ihr nicht nur mitgerissen werden wollen, dann ist es notwendig, dass wir Grundkenntnisse dessen erlangen, was beim Programmieren geschieht. Deswegen soll der Kern des Workshops dem algorithmischen Denken gewidmet sein. Ihm werden derzeit in vielen Ländern, auch in der BRD, große Anstrengungen besonders in Hinblick auf die Schulbildung gewidmet, wie vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch. In den USA wird meist von computational thinking gesprochen. Das wird uns zu eng erscheinen. Wir nehmen die Mathematik zum Ausgangspunkt, nicht den Computer.
In der oben angesprochenen Verdoppelung liegt die Besonderheit aller Computerdinge, nahezu aller Dinge also, die als Dinge heute relevant sind. In der Verdoppelung liegt das, worüber wir als digitale KulAretur, als digitale Gesellschaft, in den Digital Humanities etc. lesen. Diese Verdoppelung steht auch hinter dem, was Big Data genannt wird und allerlei mystische Nebelschwaden erzeugt. Die Verdoppelung ist einfach zu begreifen und doch von viel Spekulation umschwirrt. Sie ist wesentliches Ergebnis der algorithmischen Revolution.
Zumuten werde ich Euch, dass Ihr Euch auf die Ebene dessen aufschwingt, was heute Kultur ausmacht, oder, sagen wir es etwas bescheidener: was heute für kulturelle Prozesse wichtig ist.
Wir werden praktisch werden und programmieren, denn aus der Praxis lernen wir. Dazu werden wir uns konkret mit der Programmiersprache Processing befassen und erleben, dass Programmieren erst einmal anstrengen mag, im Grunde jedoch kinderleicht ist. In praktischer Auseinandersetzung mit dem "digitalen" Bild werdet Ihr (so hoffe ich jedenfalls) einerseits spüren, wie begeisternd eigenes Schaffen sein kann. Andererseits werdet Ihr eine Grundlage für die Beurteilung digitaler Bilder in ihren Besonderheiten erwerben. Ihr gewinnt Instrumente und Denkweisen für einen Umgang mit der Welt des Digitalen, der auf der Höhe der Zeit ist und der sich nicht von vornherein in Spekulation flüchten muss.
Ihr als Teilnehmende sollt, wenn Ihr hier Leistungspunkte aufsammeln wollt, als eigene Leistung ein Gestaltungs-Projekt mit Processing bearbeiten, dessen Einzelheiten wir besprechen werden. Den Rahmen dafür gebe ich vor. – Sehr zu wünschen ist, dass Ihr an "unseren" Wochenenden keine anderen Block-Kurse belegt. Wer hier mitmachen möchte, soll erste Priorität auf das setzen, was wir tun.

Zum Leistungsnachweis (Prüfungsleistung)
Um die fünf Leistungspunkte zu erwerben, ist Folgendes zu tun:

• [generell] Ihr sollt immer aktiv teilnehmen und mitmachen, also Bemerkungen und Fragen zum Diskurs beisteuern, für begriffliches Arbeiten den Laptop zuklappen, gelegentlich eine Übungsaufgabe bearbeiten (mobile Telefone bitte eher ausschalten).
• [gestaltend] Als algorithmisch-praktischen Teil sollt Ihr eine Anwendung algorithmischer Prinzipien auf eine ästhetische Gestaltung entwickeln (in der Programmierumgebung Processing) und zur gegebenen Zeit den Zwischenstand präsentieren; zur individuellen Aufgabe werde ich einen Rahmen vorgeben.
• [schreibend] Zum Schluss sollt Ihr über das individuelle Gestaltungsprojekt einen kritisch reflektierenden Bericht abfassen, eingebettet in unseren Gesamt-Kontext. Abgabe bis zum 7.3.2021.

Die Note für Eure Leistung setzt sich aus zwei Teilen zusammen:

• kurze mündliche Präsentation des Zwischenstandes: am 19. Dezember 2020 (20%)
• schriftliche Ausarbeitung über die Gestaltungsaufgabe (mit Programm), bis 7. März 2021 (80%).

Über Einzelheiten dieser Aufgaben unterhalten wir uns zu Beginn und zwischendurch. Die Orientierung für die verlangten Leistungen lautet:
»Macht das, was Ihr macht, gut und auch pünktlich!«


Zum Ablauf des Workshops

FR, 6. Nov 2020
14-17
Zur Thematik, zu Terminen und Prüfungsleistungen.
Geschichte der Algorithmischen Kunst. Gibt es das digitale Bild? Was ist ein Algorithmus?

SA, 7. Nov 2020
10-12, 14-16
Algorithmisches Denken & Praxis.
Grundlegendes zum Programmieren. Vorstellung der Rahmenaufgabe.

FR, 13. Nov 2020
14-17
Algorithmisches Denken & Praxis. Einfache Interaktion.
Themen der individuellen Gestaltungsaufgaben vorlegen.

SA, 14. Nov 2020
10-12, 14-16
Algorithmisches Denken & Praxis. Einfache bewegte Bilder.
Kommentare zu den individuellen Gestaltungsaufgaben.

FR, 4. Dez 2020
14-17
Algorithmisches Denken & Praxis. Objekte und Klassen.

SA, 5. Dez 2020
10-12, 14-16
Algorithmisches Denken & Praxis. Ergänzungen und Betonungen.
Kurzpräsentation (5 Minuten) zur Gestaltungsaufgabe

FR, 18. Dez 2020
14-17
Digitale Medien. Zum Begriff, zur Geschichte, zu Positionen. Algorithmische Revolution.

SA, 19. Dez 2020
10-12, 14-16
Präsentation und Diskussion des Standes der Gestaltungsaufgaben. Zusammenfassung und Kritik

Anmerkung: Alles wird online stattfinden, deswegen bei den Stunden gegenüber dem ursprünglichen Plan reduziert!

  1. März 2021
    Abgabetermin für die Gestaltungsaufgaben (Text im pdf- und Programm im pde-Format)